
Die VGH Stiftung unterstützt regelmäßig Publikationen zur Landes-, Regional- und Kulturgeschichte. Daneben fördert sie auch geschichtswissenschaftliche Projekte, an deren Ende Veröffentlichungen in Buchform stehen oder deren Ergebnisse zusätzlich separat gedruckt erscheinen. Einige dieser Neuerscheinungen stellen wir hier vor, um damit ein Schlaglicht auf die historische Forschung zu Niedersachsen und seinen Regionen zu werfen.

Wie die Welfen mächtig blieben
Als 1918 die Monarchie in Deutschland beseitigt wurde, musste auch der Welfe Ernst August von Hannover, Enkel des 1866 vertriebenen letzten Königs von Hannover Georg V., als Herzog von Braunschweig abdanken. Dennoch blieben die Welfen – wie die meisten ehemaligen Herrscherfamilien – in der Öffentlichkeit präsent und einflussreich. Gerrit Hollatz untersucht in seiner Dissertation dieses Phänomen und macht als wichtigstes, aber bislang nicht eingehend untersuchtes Machtmittel das Vermögen der Familie aus. Es gelang den Welfen, dieses Vermögen in der Zeit der Weimarer Republik zu sichern und über die Zeit des Nationalsozialismus bis in die Gründungszeit der Bundesrepublik zu mehren. Hollatz, der für seine Forschungen Zugang zum umfangreichen Hausarchiv der Welfen hatte, zeigt eindrücklich, wie die Familie damit in den Jahrzehnten nach 1918 den Herrschaftsverlust weitgehend kompensierte, und leistet einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der deutschen Adelsgeschichte im 20. Jahrhundert.
Gerrit Hollatz: Die Welfen und ihr Vermögen. Fürstliches Leben nach der Monarchie 1918-1953, Wallstein Verlag, Göttingen 2025 [ISBN 978-3-8353-5838-6]
Weitere Informationen: Wallstein Verlag

Der Anfang des 19. Jahrhunderts im Osnabrücker Land
Der Aufsatzband enthält 15 Beiträge, die die Ergebnisse einer im September 2022 veranstalteten Tagung des Landschaftsverbands Osnabrücker Land zusammenführen. Das Thema ist über die Region hinaus bedeutend, denn die „Napoleonzeit“ wird meist nur als Bruchlinie zwischen dem Alten Reich und dem Deutschen Bund wahrgenommen. Wenn man sich jedoch näher mit den turbulenten Jahren zwischen etwa 1802 und 1813 beschäftigt, tritt eine faszinierende Phase „beschleunigter Geschichte“ zutage, in denen neue, v.a. politische und gesellschaftliche Impulse gesetzt wurden, die vielfach trotz der nach 1815 einsetzenden Restauration dauerhaft fortwirkten. Zugleich zeigt sich, dass viele Veränderungen nicht konsequent vorangetrieben wurden oder den Zeitgenossen als wenig zielgerichtet erschienen, sodass gerade deshalb alte Strukturen fortbestehen konnten: Eine faszinierende Epoche, die im Allgemeinen zu wenig erforscht, für das Osnabrücker Land nun aber hell ausgeleuchtet ist!
Ulrich Winzer, Susanne Tauss (Hrsg.): Frankreich in Osnabrück. Eine Region in napoleonischer Zeit, Waxmann Verlag, Münster 2023 [ISBN 978-3-8309-4767-7; E-Book ISBN 978-3-8309-9767-2].
Weitere Informationen: Waxmann Verlag

Eine fast vergessene Schriftstellerin
Die Schriftstellerin Tami Oelfken (1888-1957) ist außerhalb ihres Geburtsortes Blumenthal – heute ein Stadtteil Bremens – nur noch wenigen Menschen ein Begriff. Seit 1908 als Lehrerin tätig und durch den Künstlerkreis in Worpswede inspiriert, entwickelte sie sich in den 1920er Jahren zu einer entschiedenen Schulreformerin, die 1928 eine eigene Schule in Berlin gründete. Unter den Nationalsozialisten erhielt Oelfken dauerhaftes Unterrichtsverbot, und auch als Schriftstellerin – 1931 hatte sie ihr erstes und durchaus erfolgreiches Kinderbuch Nickelmann erlebt Berlin veröffentlicht – wurde sie „kaltgestellt“. Erst nach 1945 konnte sie wieder in Erscheinung treten, doch auch das konservative Umfeld der frühen Bundesrepublik bot der progressiven Autorin wenig Raum zur Entfaltung. Gina Weinkauff ist es zu verdanken, dass nun Leben und Werk von Tami Oelfken umfassend gewürdigt werden: Sie führt uns eine moderne Schriftstellerin vor Augen, die eindrücklich sowohl das Milieu ihrer Kindheit beschreibt als auch den gesellschaftlichen Aufbruch in der Weimarer Republik und Verfolgungserfahrungen zwischen 1933 und 1945.
Gina Weinkauff: „Bis jetzt bin ich von Zuversicht getragen.“ Tami Oelfken (1888-1957) – Leben und Werk, Aisthesis Verlag, Bielefeld 2024 [ISBN 978-3-8498-1912-5].
Weitere Informationen: AISTHESIS VERLAG

Entstehung der Ethnologie an der Universität Göttingen
Als die noch junge Universität Göttingen 1773 von Professor Christian Wilhelm Büttner dessen private Naturaliensammlung für Lehre und Forschung erwarb, befanden sich darunter auch „66 Kunst Sachen“ – Zeugnisse menschlicher Kultur aus der ganzen Welt. Gudrun Bucher beschreibt in ihrer Publikation, wie sich daraus im Laufe von rd. 160 Jahren eine bedeutende ethnographische Sammlung entwickelte und wie sich darin das steigende Forschungsinteresse an den Kulturen der Welt abzeichnet. Auf dieser Grundlage arbeitet die Autorin heraus, welche Rolle die Beschäftigung mit den Objekten bei der Etablierung der Ethnologie (früher Völkerkunde) als eigenständige wissenschaftliche Disziplin in Göttingen spielte und wie umgekehrt die Auseinandersetzung mit ethnologischen Fragestellungen das Sammeln und die Erforschung der Objekte befeuerte und veränderte (koloniale Erwerbskontexte der Göttinger Sammlung untersucht ein eigenständiges Forschungsprojekt: PAESE – Teilprojekt Göttingen). Eindrucksvoll macht Gudrun Bucher auf die Bedeutung universitärer Sammlungsbestände aufmerksam: Sie können zugleich Motor und Ergebnis der Wissenschaft sein!
Gudrun Bucher: Von 66 Kunst Sachen zum Institut für Völkerkunde der Georg-August-Universität Göttingen 1773-1935/36, Universitätsverlag Göttingen, Göttingen 2023 [ISBN 978-3-86395-582-3].
Open access: Universitätsverlag Göttingen

Das Inschriftenerbe von fünf Landkreisen
Die Publikation von Inschriften, die aus der Zeit vor 1650 an Bauwerken und Objekten in Niedersachsen überliefert sind, wird von der Niedersächsischen Akademie der Wissenschaften zu Göttingen Landkreis für Landkreis vorangetrieben. Sabine Wehking hat nun einen Band vorgelegt, der aufgrund der schieren Größe des Untersuchungsgebiets heraussticht: Sie hat in den fünf Landkreisen Lüneburg, Harburg, Lüchow-Dannenberg, Uelzen und Heidekreis (ohne die Stadt Lüneburg und die Lüneburger Klöster, die in separaten Bänden erschienen sind) insgesamt 620 Inschriften zusammengetragen, beschrieben, übersetzt und historisch eingeordnet. Im Laufe des Jahres 2026 wird ihre Arbeit auch online über die Datenbank der Deutschen Inschriften frei zugänglich gemacht.
Inschriften waren fast immer an die nahe und ferne Zukunft gerichtet – in ihnen manifestiert sich das historische Bewusstsein vergangener Zeiten und dadurch sind sie eine wichtige Grundlage landesgeschichtlicher Forschung. Sabine Wehking führt uns die Botschaften u. a. von Landesherren, Kirchenoberen, Stifter*innen, Verstorbenen, Bauherren und Handwerkern vor Augen, die wir ohne sie entweder nicht bemerkt, nicht entschlüsselt oder nicht verstanden hätten – ein großer Wurf!
Sabine Wehking (Bearb.): Die Inschriften der Landkreise Lüneburg, Harburg, Lüchow-Dannenberg, Uelzen und des Heidekreises [Die deutschen Inschriften 116], Ludwig Reichert Verlag, Wiesbaden 2024 [ISBN 978-3-7520-0733-6].
Weitere Informationen: Ludwig Reichert Verlag

Das Goslarer Rathaus – geschichtsträchtig und wandlungsfähig
Im Goslarer Rathaus wird seit 2024 eine 3D-Präsentation gezeigt, die den Besucher*innen die mehr als 700-jährige Baugeschichte des Gebäudes sowie das Aussehen des Ratssaals und der Ratsdornse (beheizbarer Raum für Ratssitzungen) um 1560 veranschaulicht. Das von der VGH Stiftung geförderte Projekt vermittelt einen guten Eindruck, wie sich das Rathaus im Laufe der Jahrhunderte unter dem Einfluss verschiedener Architekturstile wandelte. Die Präsentation entstand auf der Grundlage der umfangreichen baugeschichtlichen Forschungen von Christine Bauer, deren Erkenntnisse parallel auch in Buchform veröffentlicht wurden. In dieser Publikation wird konkret nachvollziehbar, wie sie aus Befunden während der Restaurierung des Rathauses, weiterführenden Untersuchungen und dem Abgleich mit schriftlichen Quellen die Baugeschichte des Rathauses rekonstruieren konnte, die die digitale Zeitreise bis ins Mittelalter möglich macht.
Christine H. Bauer: Das Rathaus in Goslar. Geschichte und Bauphasen [Beiträge zur Baugeschichte der Stadt Goslar, hrsg. von der Stadt Goslar], Goslar 2024 [ISBN 978-3-00-074206-4.
Weitere Informationen: Stadt Goslar

Ein Politiker zwischen Osnabrück und Hannover
Johann Carl Bertram Stüve (1798-1872) ist heute kaum noch jemandem als wichtige historische Persönlichkeit präsent. Jedoch prägte der aus einer angesehenen Osnabrücker Familie stammende Jurist über Jahrzehnte die Politik des Königreichs Hannover (1814-1866), zunächst als Abgeordneter der Ständeversammlung, als Protagonist der Bauernbefreiung, als Verfechter des Staatsgrundgesetzes, später von 1848 bis 1850 als Innenminister, der die Verwaltung des Landes modernisierte, und parallel dazu von 1833 bis 1864 als Bürgermeister seiner Heimatstadt. Der Aufsatzband präsentiert die Ergebnisse einer Tagung, die anlässlich Stüves 150. Todestages im Mai 2022 in Osnabrück stattgefunden hat. Die VGH Stiftung förderte im Vorlauf die Erschließung zentraler Archivalien in der Abteilung Osnabrück des Niedersächsischen Landesarchivs. Beleuchtet wird Stüves politisches Wirken und seine Überzeugungen, in denen sich liberaler Reformgeist zunehmend zu einer konservativen Haltung wandelte. Zugleich zeigt das Buch, dass eine weiterführende Beschäftigung mit Stüve, der sich auch als Historiker große Verdienste erwarb, einen idealen Zugang zur Geschichte des Königreichs Hannovers und der Zeit der beginnenden Industrialisierung in Niedersachsen bietet.
Christine van den Heuvel, Thomas Brakmann, Nina Reißig (Hrsg.): Johann Carl Bertram Stüve (1798-1872). Beiträge zu Leben und Werk [Veröffentlichungen des Niedersächsischen Landesarchivs 7], Wallstein Verlag, Göttingen 2024 [ISBN 978-3-8353-5562-0]

Grundlagenforschung zur Weserrenaissance
Claudia Dornberger hat in ihrer Dissertation detaillierte bauhistorische Untersuchungen vorgelegt zu Adelssitzen der Familie von Münchhausen in der ehemaligen Grafschaft Schaumburg, die alle im Laufe des 16. Jahrhunderts im Stil der Weserrenaissance erbaut bzw. umgestaltet wurden. So lassen sich durch die anschaulich und bilderreich gestaltete Publikation erstmals die Gebäudeensembles in Apelern, Hessisch Oldendorf, Lauenau-Schwedesdorf, Remeringhausen, am Amtssitz Lauenau und in einem Exkurs des Hammersteinhofs in Apelern gemeinsam betrachten. Zugleich – über Raumnutzung, Ausstattung und Inventare – gewinnt man tiefe Einblicke in die adligen Lebensumstände der beginnenden Neuzeit: Gab es verbindende Gestaltungsideen, eine spezifisch von-Münchhausen‘sche Weserrenaissance?
Claudia Dornberger: Die Adelssitze der Familie von Münchhausen in der ehemaligen Grafschaft Schaumburg, Michael Imhof Verlag, Petersberg 2023 [ISBN 978-3-7319-1335-1]

Der städtische Traum vom Leben in der Natur
Alfred Lichtwark (1852-1914), als Direktor der Hamburger Kunsthalle zu seiner Zeit ein Hauptakteur der dortigen Kulturszene, brachte Anfang des 20. Jahrhunderts zahlreiche Hamburger Kulturschaffende und Intellektuelle dazu, südlich der Elbe am „Sunderberg“ bei Hittfeld eine Landhauskolonie zu schaffen, in der sich gemeinschaftliche Kulturerlebnisse, Naturwahrnehmung und Naturgestaltung verbinden sollten. Dem Gartenhistoriker Joachim Schnitter ist es mit seiner Publikation gelungen, diese fast vergessene Episode der Lebensreformbewegung wieder ins Bewusstsein zu rufen und zugleich an diesem Beispiel die besondere Wechselwirkung zwischen Mal- und Gartenkunst in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg herauszuarbeiten.
Joachim Schnitter: Eine Ahnung kommender Lebenskunst. Lichtwarks Heidegarten und die Hittfelder Landhauskolonie, Dölling und Galitz Verlag, München 2023 [ISBN 978-3-86218-166-7]

Im Krieg gegen Napoleon
Vier Brüder aus der hannoverschen Adelsfamilie von Hodenberg kämpften als Offiziere zwischen 1803 und 1815 in der King’s German Legion, einer Einheit der britischen Armee, die sich vornehmlich aus Deutschen aus dem Kurfürstentum Hannover – dem Stammland des britischen Königs Georg III. – zusammensetzte. Die Briefe, die Carl, Ernst, Friedrich und Ivan von Hodenberg an ihre Verwandten in der französisch besetzten Heimat schrieben, hat Jens Mastnak in der vorliegenden Publikation wissenschaftlich ediert, kommentiert und historisch mustergültig eingeordnet. Die darin geschilderten Erlebnisse und Einstellungen vermitteln ganz persönliche Perspektiven auf eine Epoche, in der der gesamte europäische Kontinent zum Kriegsschauplatz wurde.
Jens Mastnak (Hrsg.): In der King’s German Legion. Die Briefe der Brüder Carl, Ernst, Friedrich und Ivan von Hodenberg (1803-1815), Solivagus Verlag, Kiel 2023 [ISBN 978-3-947064-14-4]

Ein fast vergessener Baumeister des „einfachen Styls“
Der schaumburgische Landbaumeister Wilhelm Meissner (1770-1842) ist – da die meisten seiner Bauten heute nicht mehr vorhanden sind – nahezu in Vergessenheit geraten. Zu Unrecht, wie die Publikation von Helmut Stange zeigt: Er zeichnet Meissners Lebensweg nach, der ihn durch die Ausbildung in Göttingen und Dresden mit Geistesgrößen seiner Zeit in Kontakt brachte, neue Bautechniken kennenlernen ließ und nach seiner Entlassung aus schaumburgischen Diensten nach Eutin führte, wo er als freier Architekt und Autor wirkte. Am beeindruckendsten ist jedoch sein Schaffen als Landbaumeister, der mit seinem (nach eigener Aussage) „einfachen Styl“ an der Wende zum 19. Jahrhundert in nur neun Amtsjahren der öffentlichen Baukultur des kleinen Fürstentums seinen Stempel aufprägte.
Helmut Stange: Wilhelm Meissner (1770-1842). Ein Schaumburger Baumeister zwischen Revolution und Biedermeier [Schaumburger Beiträge 6], Wallstein-Verlag, Göttingen 2023 [ISBN 978-3-8353-5457-9]

Dorfkirchen als historisches Gedächtnis
Obwohl sie den allermeisten in Formensprache und Aussehen vertraut sind, bewahren Kirchen eine Vielzahl kulturhistorisch wertvoller Botschaften, die sich nicht auf den ersten Blick erschließen. Für die 70 Dorfkirchen im Landkreis Hameln-Pyrmont haben Dagmar Köhler und Bernhard Gelderblom nun ein Buch verfasst, das diese Botschaften kenntnisreich – und nicht belehrend – offenlegt und jedem Kirchenbau die ihm gebührende Aufmerksamkeit zukommen lässt; Gemeinsamkeiten, Ähnlichkeiten und Besonderheiten der verschiedenen Kirchen werden deutlich. Damit leisten Köhler und Gelderblom einen wichtigen Beitrag, damit die Öffentlichkeit den Kirchenbauten auch zukünftig die notwendige Wertschätzung entgegenbringen kann, die die Voraussetzung ist, um diese zentralen Zeugen der Ortsgeschichte dauerhaft zu erhalten.
Dagmar Köhler und Bernhard Gelderblom: Dorfkirchen in Hameln Pyrmont [Schriftenreihe des Vereins für regionale Kultur- und Zeitgeschichte Hameln 2], Verlag Jörg Mitzkat, Holzminden 2023 [ISBN 978-3-95954-123-7]

Mehr über den Wald wissen: Die Forstakademie Hann. Münden
Die 1868 in Hann. Münden errichtete Forstakademie, die 1939 als Forstliche Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen angegliedert und 1972 in die Universitätsstadt verlegt wurde, war zu ihrer Zeit im Hinblick auf die forstwissenschaftliche Forschung und Lehre die bedeutendste Einrichtung in Nordwestdeutschland. Peter-Michael Steinsiek hat die archivalische Überlieferung dieser Bildungseinrichtung erschlossen, ausgewertet und seine Erkenntnisse in einer Publikation zusammengefasst, die die Entwicklung der Forstwissenschaft, sich verändernde Schwerpunktsetzungen, externe Einflüsse auf den Fächerkanon, personelle Entwicklungslinien und forschungspolitische Weichenstellungen herausarbeitet. Am Beispiel dieser wichtigen Forschungseinrichtung im südlichen Niedersachsen wird deutlich, dass „Waldwissen“ dabei nicht nur das Wissen um den Wald selbst meint, sondern auch das Wissen um dessen „Beziehungen zu den Menschen“ (Steinsiek).
Peter-Michael Steinsiek: Waldwissen. Professionalisierung der Forstwissenschaft in Hann. Münden 1868-1972 [Göttinger Forstwissenschaften 11], Universitätsverlag Göttingen, Göttingen 2023 [ISBN 978-3-86395-566-3]
Weitere Informationen: Waldwissen: Professionalisierung der Forstwissenschaft in Hann. Münden 1868-1972 (uni-goettingen.de)

Was uns Inschriften sagen…
Inschriften an Häusern und Objekten sollen Botschaften in die Zukunft transportieren, doch gerade historische Inschriften sind meist nur schwer zu entziffern, geschweige denn zu verstehen. Katharina Kagerer von der Inschriftenkommission der Niedersächsischen Akademie der Wissenschaften zu Göttingen hat daher im neuesten Band der „Deutschen Inschriften“ die vor 1650 entstandenen Inschriften im Landkreis Nienburg kenntnisreich zusammengetragen, beschrieben, transkribiert und übersetzt. Die entsprechende Publikation enthält nahezu 400 Inschriften, von denen gut ein Viertel auf das bedeutende Kloster Loccum entfällt. Damit liegt nun für diese Region ein Grundlagenwerk vor, das der Wissenschaft für vielfältige historische Fragestellungen als Hilfsmittel, aber auch der interessierten Öffentlichkeit als Nachschlagewerk dienen kann.
Katharina Kagerer (Bearb.): Die Inschriften des Landkreises Nienburg/Weser [Die deutschen Inschriften 114], Dr. Ludwig Reichert Verlag, Wiesbaden 2023 [ISBN 978-3-7520-0636-0]

Schließen einer Forschungslücke: Die Sozialgeschichte Lüneburgs von 1918 bis 1945
Als Hanse- und Salzstadt stand Lüneburg seit jeher im Fokus der Mittelalter- und Frühneuzeitforschung, während spätere Epochen der Stadtgeschichte weit schlechter ausgeleuchtet wurden. Der Historiker Dirk Stegmann hat sich einer der vorhandenen Forschungslücken angenommen und eine Sozialgeschichte der Stadt Lüneburg vorgelegt, die die Zeit vom Ende des Ersten Weltkriegs 1918 bis zum Untergang der nationalsozialistischen Diktatur 1945 in den Blick nimmt. Er zeichnet dabei das Bild einer Stadtgesellschaft, die der neuen Republik aufgeschlossen begegnete, die Krisen der 1920er Jahre recht gut meisterte und deren demokratische Ordnung im Verlauf des Jahres 1932 erodierte, sodass die Nationalsozialisten schnelle Erfolge feiern konnten. Mit seinem Werk hat Stegmann nicht nur für Lüneburgerinnen und Lüneburger eine Basis geschaffen, um sich weitergehend mit der Lüneburger Stadtgeschichte zwischen den Weltkriegen auseinanderzusetzen.
Dirk Stegmann: Lüneburg 1918-1945. Stadtgesellschaft zwischen Kaiserreich, Republik und Diktatur [Beiträge aus dem Museum Lüneburg 5], Museumstiftung Lüneburg 2020 [ISBN 978-3-946481-05-8]

Neue Perspektiven auf den Osnabrücker Justus Möser
Denker der Aufklärung, Staatsmann, Publizist, Historiker etc. – Justus Möser werden zu Recht viele Rollen zugeschrieben, die weit über die Grenzen seiner Heimatstadt Osnabrück hinausweisen und zugleich auch die Geschichte des Osnabrücker Landes im 18. Jahrhundert nachhaltig prägen. Der Landschaftsverband Osnabrücker Land hat daher den 300. Geburtstag Justus Mösers zum Anlass genommen, in einem Forschungsprojekt Themenfelder zu Mösers Wirken abzustecken, auf einer wissenschaftlichen Tagung den aktuellen Forschungsstand zu diskutieren und deren Beiträge in einem Tagungsband zu publizieren. Die Bandbreite ist enorm: Allgemeine politische Theorie, deren praktische Anwendung im Fürstentum Osnabrück, Mösers Position zwischen Modernität und Bewahren, seine Kommunikationsnetzwerke und sein Verständnis regionaler Identität – die Publikation zeigt, wie lohnend ein „neuer Blick“ auf Justus Möser ist.
Ulrich Winzer/Susanne Tauss (Hrsg.): „Es hat also jede Sache ihren Gesichtspunct…“ Neue Blicke auf Justus Möser (1720-1794) [Kulturregion Osnabrück 33], Waxmann Verlag, Münster/New York [ISBN 978-3-8309-4099-9]

Eine Reise durch die Göttinger Kunstgeschichte: Göttinger Künstlerlexikon
Über 600 Jahre Kunstschaffen in einer Stadt anhand der Biografien der Künstlerinnen und Künstler beleuchten, dabei die verschiedenen Genres im Blick? Für die Stadt Göttingen ist dies Thomas Appel mit seiner Dissertation gelungen. Er trägt in seinem Göttinger Künstlerlexikon die Biografien von mehr als 450 Kunstschaffenden zusammen, aus denen sich viel über die Entstehungsgeschichte wichtiger Kunstobjekte und die Lebensumstände der jeweiligen Epochen herauslesen lässt. Dass es Appel dabei auch gelungen ist, bisher unbekannte Künstler zu porträtieren und zahlreiche anonyme Werke zuzuweisen, ist seiner vorbildlichen Auswertung der archivalischen Überlieferung zu verdanken. Wissenschaft und interessierter Öffentlichkeit bietet das reich bebilderte Nachschlagewerk eine abwechslungsreiche Reise durch die Göttinger Kunstgeschichte.
Thomas Appel: Göttinger Künstlerlexikon. Maler – Grafiker – Bildhauer – Architekten. Vom 14. Jahrhundert bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts, Universitätsverlag Göttingen, Göttingen 2022 [ISBN 978-3-86395-504-5]
open access:
https://univerlag.uni-goettingen.de/handle/3/isbn-978-3-86395-504-5

Lückenschluss Hann. Münden
Seit dem Brand dreier historischer Fachwerkhäuser in Hann. Münden im Jahr 2020 klafft eine Baulücke wie eine Wunde in der historischen Altstadt. Dies war der Ausgangspunkt für Birgit Franz und Till Boettger, gemeinsam mit Studierenden der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim/Holzminden/Göttingen (HAWK) eine architektonische Antwort auf das Brandunglück zu finden. Ausgehend von einer Analyse der historisch gewachsenen Stadtgestalt stellt die Publikation vier studentische Entwürfe zur Diskussion, die das Ziel haben, in Form, Materialität und Nutzung Impulse des denkmalgeschützten Bestandes aufzunehmen und zugleich die Innenstadt Hann. Mündens zeitgemäß „weiterzubauen“.
Till Boettger/Birgit Franz (Hg.): Lückenschluss. Resiliente Quartiersentwicklung für die denkmalgeschützte Fachwerkstatt Hann. Münden, Verlag Fruehwerk, Hildesheim/Berlin 2022 [ISBN 978-3-941295-24-7]
open access:
https://issuu.com/tillboettger/docs/lueckenschluss

Landschaften und Heimaten
Hansjörg Küster hat sich wissenschaftlich und publizistisch über Jahrzehnte mit der ganzheitlichen Darstellung von Landschaften beschäftigt, die durch ihre jeweils ganz speziellen Verknüpfungen von Natur, Kultur und Ideen unterschiedlichen Menschen Heimat sind oder zur Heimat werden. Bis 2022 prägte der in Hannover lehrende Professor für Pflanzenökologie über 18 Jahre den Niedersächsischen Heimatbund (NHB) als dessen Präsident. Die Schaumburgische Landschaft und der NHB ehren Hansjörg Küster für sein weit über die niedersächsische Heimatpflege hinausreichendes Wirken mit der vorliegenden Festschrift, die 28 seiner einschlägigen Beiträge erneut veröffentlicht – 28 abwechslungsreiche Zugänge zu Landschaften und Heimaten.
Hansjörg Küster: Heimaten. Von Natur, Kultur und Ideen geprägte Landschaften [Kulturlandschaft Schaumburg 27], Wallstein Verlag, Göttingen 2023 [ISBN 978-3-8353-5349-7]

Zwischen Elbe und Ems. 1200 Jahre Kunst in Niedersachsen, Hamburg und Bremen
Wie gewinnt man einen Überblick über zwölf Jahrhunderte Kunstgeschichte in Niedersachsen, Hamburg und Bremen? Der Kunsthistoriker und Architekt Urs Boeck hat sich der Frage gestellt, seine jahrzehntelange Berufserfahrung als Hauptkonservator im Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege Revue passieren lassen und eine Zusammenschau von Architektur, Bildhauerei und Malerei der drei Bundesländer vorgelegt. In kurzen Kapiteln beleuchtet er unterschiedliche Kunstströmungen und -epochen, greift schlaglichtartig die prägnantesten Objekte heraus und ordnet sie in ihren jeweiligen geschichtlichen Kontext ein: Ein Nachschlagewerk mit hohem wissenschaftlichen Anspruch, das zugleich Laien einen abwechslungsreichen Überblick bietet.
Urs Boeck: Zwischen Elbe und Ems. 1200 Jahre Kunst in Niedersachsen, Hamburg und Bremen, Deutscher Kunstverlag, Berlin/München 2020 [ISBN 978-3-422-07441-5]

Wandelbare Bildträger. Bemalte Tafeln und ihre Funktion im Spätmittelalter
Pavla Ralcheva untersucht in ihrer Dissertation beidseitig bemalte, museal heute als Gemälde präsentierte Holztafeln des Spätmittelalters und rekonstruiert ihre ursprüngliche Funktion (z. B. als Klappen oder Deckel) als bewegliche Teile kirchlicher Ausstattungsgegenstände. Zum Vergleich zieht sie prominente Objekte heran, die sich bis heute in ihrem Funktionszusammenhang erhalten haben. Dabei untersucht sie auch eingehend den prächtigen Heilig-Grab-Sarg im Kloster Wienhausen bei Celle und sorgt so dafür, dass ein herausragendes niedersächsisches Kunstwerk in einer vergleichenden kunstgeschichtlichen Betrachtung angemessen gewürdigt wird.
Pavla Ralcheva: Wandelbare Bildträger. Die Funktion beidseitig bemalter Tafeln im Spätmittelalter, Reimer-Verlag, Berlin 2022 [ISBN 978-3-496-01683-0]

Verstrickt. Der Nationalsozialismus im alten Landkreis Springe
Die nationalsozialistische Diktatur ab 1933 war kein abstraktes politisches System, sondern entstand aus dem Zusammenwirken zahlloser Akteure, die in ihrem Umfeld die nationalsozialistische Durchdringung der Gesellschaft aktiv beförderten, ihren Platz dabei suchten oder zumindest (bis auf wenige Ausnahmen) widerstandslos hinnahmen. Was dies konkret vor Ort bedeutete, hat Kai Witthinrich für den Altkreis Springe südwestlich von Hannover herausgearbeitet. Anstelle der häufig stadtzentrierten Forschung zum Dritten Reich wendet er sich einem ländlich geprägten Raum zu, nutzt bisher unbekannte Quellen und zeichnet so ein facettenreiches Bild, das beispielgebend für ähnliche Untersuchungen in weiteren Regionen ist. Vor Ort ist das Buch der Auftakt für eine fortgesetzte Auseinandersetzung mit der Zeit des Nationalsozialismus, denn 2023 wird das Museum Bad Münder – aufbauend auf Witthinrichs Forschungen – eine Sonderausstellung zum Thema zeigen.
Kai Witthinrich: Verstrickt. Der Nationalsozialismus im alten Landkreis Springe [Schriftenreihe des Museums Bad Münder 16], Heimatbund Niedersachsen e.V., Ortsgruppe Bad Münder, 2022 [ISBN 978-3-00-072775-7]

Faule Müßiggänger und „rechte“ Arme
Für das Leben in frühneuzeitlichen Städten war die Armenfürsorge eine zentrale Aufgabe und fortwährender Konfliktstoff im Alltag. In kommunalen Verordnungen wurde bestimmt, was Armut, was Bettelei und was fauler Müßiggang war und wie damit umzugehen sei. Diese „Armen- und Bettelordnungen“ spiegeln die durch die vor Ort herrschenden sozialen Normen und moralischen Wertungen wider. Ivette Nuckel hat solche Ordnungen des 16. und 17. Jahrhunderts aus Bremen, Lübeck, Lüneburg und Oldenburg zusammengetragen, ediert und kommentiert, sodass ein Vergleich der Armenfürsorge in norddeutschen Städten möglich wird. Besonders hilfreich ist, dass Nuckel für die (mittel-)niederdeutschen Texte jeweils eine hochdeutsche Übersetzung bietet und damit die Sprachbarriere beseitigt, die häufig eine direkte Auseinandersetzung mit den frühneuzeitlichen Schriftquellen Norddeutschlands verhindert.
Ivette Nuckel (Hg.): Faule Müssiggänger und „rechte“ Arme. Armen- und Bettelordnungen Bremens, Lübecks, Lüneburgs und Oldenburgs des 16. und 17. Jahrhunderts, Solivagus-Verlag, Kiel 2021 [ISBN 978-3-943025-41-5]