Die VGH Stiftung unterstützt regelmäßig Publikationen zur Landes-, Regional- und Kulturgeschichte. Daneben fördert sie auch wissenschaftliche Projekte, an deren Ende Veröffentlichungen in Buchform stehen. Einige dieser Neuerscheinungen möchten wir hier vorstellen – auch weil von ihnen viele während der Corona-Pandemie publiziert wurden, in der klassische Buchvorstellungen nur sehr eingeschränkt stattfinden konnten.
Grundlagenforschung zur Weserrenaissance
Claudia Dornberger hat in ihrer Dissertation detaillierte bauhistorische Untersuchungen vorgelegt zu Adelssitzen der Familie von Münchhausen in der ehemaligen Grafschaft Schaumburg, die alle im Laufe des 16. Jahrhunderts im Stil der Weserrenaissance erbaut bzw. umgestaltet wurden. So lassen sich durch die anschaulich und bilderreich gestaltete Publikation erstmals die Gebäudeensembles in Apelern, Hessisch Oldendorf, Lauenau-Schwedesdorf, Remeringhausen, am Amtssitz Lauenau und in einem Exkurs des Hammersteinhofs in Apelern gemeinsam betrachten. Zugleich – über Raumnutzung, Ausstattung und Inventare – gewinnt man tiefe Einblicke in die adligen Lebensumstände der beginnenden Neuzeit: Gab es verbindende Gestaltungsideen, eine spezifisch von-Münchhausen‘sche Weserrenaissance?
Claudia Dornberger: Die Adelssitze der Familie von Münchhausen in der ehemaligen Grafschaft Schaumburg, Michael Imhof Verlag, Petersberg 2023 [ISBN 978-3-7319-1335-1]
Der städtische Traum vom Leben in der Natur
Alfred Lichtwark (1852-1914), als Direktor der Hamburger Kunsthalle zu seiner Zeit ein Hauptakteur der dortigen Kulturszene, brachte Anfang des 20. Jahrhunderts zahlreiche Hamburger Kulturschaffende und Intellektuelle dazu, südlich der Elbe am „Sunderberg“ bei Hittfeld eine Landhauskolonie zu schaffen, in der sich gemeinschaftliche Kulturerlebnisse, Naturwahrnehmung und Naturgestaltung verbinden sollten. Dem Gartenhistoriker Joachim Schnitter ist es mit seiner Publikation gelungen, diese fast vergessene Episode der Lebensreformbewegung wieder ins Bewusstsein zu rufen und zugleich an diesem Beispiel die besondere Wechselwirkung zwischen Mal- und Gartenkunst in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg herauszuarbeiten.
Joachim Schnitter: Eine Ahnung kommender Lebenskunst. Lichtwarks Heidegarten und die Hittfelder Landhauskolonie, Dölling und Galitz Verlag, München 2023 [ISBN 978-3-86218-166-7]
Im Krieg gegen Napoleon
Vier Brüder aus der hannoverschen Adelsfamilie von Hodenberg kämpften als Offiziere zwischen 1803 und 1815 in der King’s German Legion, einer Einheit der britischen Armee, die sich vornehmlich aus Deutschen aus dem Kurfürstentum Hannover – dem Stammland des britischen Königs Georg III. – zusammensetzte. Die Briefe, die Carl, Ernst, Friedrich und Ivan von Hodenberg an ihre Verwandten in der französisch besetzten Heimat schrieben, hat Jens Mastnak in der vorliegenden Publikation wissenschaftlich ediert, kommentiert und historisch mustergültig eingeordnet. Die darin geschilderten Erlebnisse und Einstellungen vermitteln ganz persönliche Perspektiven auf eine Epoche, in der der gesamte europäische Kontinent zum Kriegsschauplatz wurde.
Jens Mastnak (Hrsg.): In der King’s German Legion. Die Briefe der Brüder Carl, Ernst, Friedrich und Ivan von Hodenberg (1803-1815), Solivagus Verlag, Kiel 2023 [ISBN 978-3-947064-14-4]
Ein fast vergessener Baumeister des „einfachen Styls“
Der schaumburgische Landbaumeister Wilhelm Meissner (1770-1842) ist – da die meisten seiner Bauten heute nicht mehr vorhanden sind – nahezu in Vergessenheit geraten. Zu Unrecht, wie die Publikation von Helmut Stange zeigt: Er zeichnet Meissners Lebensweg nach, der ihn durch die Ausbildung in Göttingen und Dresden mit Geistesgrößen seiner Zeit in Kontakt brachte, neue Bautechniken kennenlernen ließ und nach seiner Entlassung aus schaumburgischen Diensten nach Eutin führte, wo er als freier Architekt und Autor wirkte. Am beeindruckendsten ist jedoch sein Schaffen als Landbaumeister, der mit seinem (nach eigener Aussage) „einfachen Styl“ an der Wende zum 19. Jahrhundert in nur neun Amtsjahren der öffentlichen Baukultur des kleinen Fürstentums seinen Stempel aufprägte.
Helmut Stange: Wilhelm Meissner (1770-1842). Ein Schaumburger Baumeister zwischen Revolution und Biedermeier [Schaumburger Beiträge 6], Wallstein-Verlag, Göttingen 2023 [ISBN 978-3-8353-5457-9]
Dorfkirchen als historisches Gedächtnis
Obwohl sie den allermeisten in Formensprache und Aussehen vertraut sind, bewahren Kirchen eine Vielzahl kulturhistorisch wertvoller Botschaften, die sich nicht auf den ersten Blick erschließen. Für die 70 Dorfkirchen im Landkreis Hameln-Pyrmont haben Dagmar Köhler und Bernhard Gelderblom nun ein Buch verfasst, das diese Botschaften kenntnisreich – und nicht belehrend – offenlegt und jedem Kirchenbau die ihm gebührende Aufmerksamkeit zukommen lässt; Gemeinsamkeiten, Ähnlichkeiten und Besonderheiten der verschiedenen Kirchen werden deutlich. Damit leisten Köhler und Gelderblom einen wichtigen Beitrag, damit die Öffentlichkeit den Kirchenbauten auch zukünftig die notwendige Wertschätzung entgegenbringen kann, die die Voraussetzung ist, um diese zentralen Zeugen der Ortsgeschichte dauerhaft zu erhalten.
Dagmar Köhler und Bernhard Gelderblom: Dorfkirchen in Hameln Pyrmont [Schriftenreihe des Vereins für regionale Kultur- und Zeitgeschichte Hameln 2], Verlag Jörg Mitzkat, Holzminden 2023 [ISBN 978-3-95954-123-7]
Mehr über den Wald wissen: Die Forstakademie Hann. Münden
Die 1868 in Hann. Münden errichtete Forstakademie, die 1939 als Forstliche Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen angegliedert und 1972 in die Universitätsstadt verlegt wurde, war zu ihrer Zeit im Hinblick auf die forstwissenschaftliche Forschung und Lehre die bedeutendste Einrichtung in Nordwestdeutschland. Peter-Michael Steinsiek hat die archivalische Überlieferung dieser Bildungseinrichtung erschlossen, ausgewertet und seine Erkenntnisse in einer Publikation zusammengefasst, die die Entwicklung der Forstwissenschaft, sich verändernde Schwerpunktsetzungen, externe Einflüsse auf den Fächerkanon, personelle Entwicklungslinien und forschungspolitische Weichenstellungen herausarbeitet. Am Beispiel dieser wichtigen Forschungseinrichtung im südlichen Niedersachsen wird deutlich, dass „Waldwissen“ dabei nicht nur das Wissen um den Wald selbst meint, sondern auch das Wissen um dessen „Beziehungen zu den Menschen“ (Steinsiek).
Peter-Michael Steinsiek: Waldwissen. Professionalisierung der Forstwissenschaft in Hann. Münden 1868-1972 [Göttinger Forstwissenschaften 11], Universitätsverlag Göttingen, Göttingen 2023 [ISBN 978-3-86395-566-3]
Weitere Informationen: Waldwissen: Professionalisierung der Forstwissenschaft in Hann. Münden 1868-1972 (uni-goettingen.de)
Was uns Inschriften sagen…
Inschriften an Häusern und Objekten sollen Botschaften in die Zukunft transportieren, doch gerade historische Inschriften sind meist nur schwer zu entziffern, geschweige denn zu verstehen. Katharina Kagerer von der Inschriftenkommission der Niedersächsischen Akademie der Wissenschaften zu Göttingen hat daher im neuesten Band der „Deutschen Inschriften“ die vor 1650 entstandenen Inschriften im Landkreis Nienburg kenntnisreich zusammengetragen, beschrieben, transkribiert und übersetzt. Die entsprechende Publikation enthält nahezu 400 Inschriften, von denen gut ein Viertel auf das bedeutende Kloster Loccum entfällt. Damit liegt nun für diese Region ein Grundlagenwerk vor, das der Wissenschaft für vielfältige historische Fragestellungen als Hilfsmittel, aber auch der interessierten Öffentlichkeit als Nachschlagewerk dienen kann.
Katharina Kagerer (Bearb.): Die Inschriften des Landkreises Nienburg/Weser [Die deutschen Inschriften 114], Dr. Ludwig Reichert Verlag, Wiesbaden 2023 [ISBN 978-3-7520-0636-0]
Schließen einer Forschungslücke: Die Sozialgeschichte Lüneburgs von 1918 bis 1945
Als Hanse- und Salzstadt stand Lüneburg seit jeher im Fokus der Mittelalter- und Frühneuzeitforschung, während spätere Epochen der Stadtgeschichte weit schlechter ausgeleuchtet wurden. Der Historiker Dirk Stegmann hat sich einer der vorhandenen Forschungslücken angenommen und eine Sozialgeschichte der Stadt Lüneburg vorgelegt, die die Zeit vom Ende des Ersten Weltkriegs 1918 bis zum Untergang der nationalsozialistischen Diktatur 1945 in den Blick nimmt. Er zeichnet dabei das Bild einer Stadtgesellschaft, die der neuen Republik aufgeschlossen begegnete, die Krisen der 1920er Jahre recht gut meisterte und deren demokratische Ordnung im Verlauf des Jahres 1932 erodierte, sodass die Nationalsozialisten schnelle Erfolge feiern konnten. Mit seinem Werk hat Stegmann nicht nur für Lüneburgerinnen und Lüneburger eine Basis geschaffen, um sich weitergehend mit der Lüneburger Stadtgeschichte zwischen den Weltkriegen auseinanderzusetzen.
Dirk Stegmann: Lüneburg 1918-1945. Stadtgesellschaft zwischen Kaiserreich, Republik und Diktatur [Beiträge aus dem Museum Lüneburg 5], Museumstiftung Lüneburg 2020 [ISBN 978-3-946481-05-8]
Neue Perspektiven auf den Osnabrücker Justus Möser
Denker der Aufklärung, Staatsmann, Publizist, Historiker etc. – Justus Möser werden zu Recht viele Rollen zugeschrieben, die weit über die Grenzen seiner Heimatstadt Osnabrück hinausweisen und zugleich auch die Geschichte des Osnabrücker Landes im 18. Jahrhundert nachhaltig prägen. Der Landschaftsverband Osnabrücker Land hat daher den 300. Geburtstag Justus Mösers zum Anlass genommen, in einem Forschungsprojekt Themenfelder zu Mösers Wirken abzustecken, auf einer wissenschaftlichen Tagung den aktuellen Forschungsstand zu diskutieren und deren Beiträge in einem Tagungsband zu publizieren. Die Bandbreite ist enorm: Allgemeine politische Theorie, deren praktische Anwendung im Fürstentum Osnabrück, Mösers Position zwischen Modernität und Bewahren, seine Kommunikationsnetzwerke und sein Verständnis regionaler Identität – die Publikation zeigt, wie lohnend ein „neuer Blick“ auf Justus Möser ist.
Ulrich Winzer/Susanne Tauss (Hrsg.): „Es hat also jede Sache ihren Gesichtspunct…“ Neue Blicke auf Justus Möser (1720-1794) [Kulturregion Osnabrück 33], Waxmann Verlag, Münster/New York [ISBN 978-3-8309-4099-9]
Eine Reise durch die Göttinger Kunstgeschichte: Göttinger Künstlerlexikon
Über 600 Jahre Kunstschaffen in einer Stadt anhand der Biografien der Künstlerinnen und Künstler beleuchten, dabei die verschiedenen Genres im Blick? Für die Stadt Göttingen ist dies Thomas Appel mit seiner Dissertation gelungen. Er trägt in seinem Göttinger Künstlerlexikon die Biografien von mehr als 450 Kunstschaffenden zusammen, aus denen sich viel über die Entstehungsgeschichte wichtiger Kunstobjekte und die Lebensumstände der jeweiligen Epochen herauslesen lässt. Dass es Appel dabei auch gelungen ist, bisher unbekannte Künstler zu porträtieren und zahlreiche anonyme Werke zuzuweisen, ist seiner vorbildlichen Auswertung der archivalischen Überlieferung zu verdanken. Wissenschaft und interessierter Öffentlichkeit bietet das reich bebilderte Nachschlagewerk eine abwechslungsreiche Reise durch die Göttinger Kunstgeschichte.
Thomas Appel: Göttinger Künstlerlexikon. Maler – Grafiker – Bildhauer – Architekten. Vom 14. Jahrhundert bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts, Universitätsverlag Göttingen, Göttingen 2022 [ISBN 978-3-86395-504-5]
open access:
https://univerlag.uni-goettingen.de/handle/3/isbn-978-3-86395-504-5
Lückenschluss Hann. Münden
Seit dem Brand dreier historischer Fachwerkhäuser in Hann. Münden im Jahr 2020 klafft eine Baulücke wie eine Wunde in der historischen Altstadt. Dies war der Ausgangspunkt für Birgit Franz und Till Boettger, gemeinsam mit Studierenden der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim/Holzminden/Göttingen (HAWK) eine architektonische Antwort auf das Brandunglück zu finden. Ausgehend von einer Analyse der historisch gewachsenen Stadtgestalt stellt die Publikation vier studentische Entwürfe zur Diskussion, die das Ziel haben, in Form, Materialität und Nutzung Impulse des denkmalgeschützten Bestandes aufzunehmen und zugleich die Innenstadt Hann. Mündens zeitgemäß „weiterzubauen“.
Till Boettger/Birgit Franz (Hg.): Lückenschluss. Resiliente Quartiersentwicklung für die denkmalgeschützte Fachwerkstatt Hann. Münden, Verlag Fruehwerk, Hildesheim/Berlin 2022 [ISBN 978-3-941295-24-7]
open access:
https://issuu.com/tillboettger/docs/lueckenschluss
Landschaften und Heimaten
Hansjörg Küster hat sich wissenschaftlich und publizistisch über Jahrzehnte mit der ganzheitlichen Darstellung von Landschaften beschäftigt, die durch ihre jeweils ganz speziellen Verknüpfungen von Natur, Kultur und Ideen unterschiedlichen Menschen Heimat sind oder zur Heimat werden. Bis 2022 prägte der in Hannover lehrende Professor für Pflanzenökologie über 18 Jahre den Niedersächsischen Heimatbund (NHB) als dessen Präsident. Die Schaumburgische Landschaft und der NHB ehren Hansjörg Küster für sein weit über die niedersächsische Heimatpflege hinausreichendes Wirken mit der vorliegenden Festschrift, die 28 seiner einschlägigen Beiträge erneut veröffentlicht – 28 abwechslungsreiche Zugänge zu Landschaften und Heimaten.
Hansjörg Küster: Heimaten. Von Natur, Kultur und Ideen geprägte Landschaften [Kulturlandschaft Schaumburg 27], Wallstein Verlag, Göttingen 2023 [ISBN 978-3-8353-5349-7]
Zwischen Elbe und Ems. 1200 Jahre Kunst in Niedersachsen, Hamburg und Bremen
Wie gewinnt man einen Überblick über zwölf Jahrhunderte Kunstgeschichte in Niedersachsen, Hamburg und Bremen? Der Kunsthistoriker und Architekt Urs Boeck hat sich der Frage gestellt, seine jahrzehntelange Berufserfahrung als Hauptkonservator im Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege Revue passieren lassen und eine Zusammenschau von Architektur, Bildhauerei und Malerei der drei Bundesländer vorgelegt. In kurzen Kapiteln beleuchtet er unterschiedliche Kunstströmungen und -epochen, greift schlaglichtartig die prägnantesten Objekte heraus und ordnet sie in ihren jeweiligen geschichtlichen Kontext ein: Ein Nachschlagewerk mit hohem wissenschaftlichen Anspruch, das zugleich Laien einen abwechslungsreichen Überblick bietet.
Urs Boeck: Zwischen Elbe und Ems. 1200 Jahre Kunst in Niedersachsen, Hamburg und Bremen, Deutscher Kunstverlag, Berlin/München 2020 [ISBN 978-3-422-07441-5]
Wandelbare Bildträger. Bemalte Tafeln und ihre Funktion im Spätmittelalter
Pavla Ralcheva untersucht in ihrer Dissertation beidseitig bemalte, museal heute als Gemälde präsentierte Holztafeln des Spätmittelalters und rekonstruiert ihre ursprüngliche Funktion (z. B. als Klappen oder Deckel) als bewegliche Teile kirchlicher Ausstattungsgegenstände. Zum Vergleich zieht sie prominente Objekte heran, die sich bis heute in ihrem Funktionszusammenhang erhalten haben. Dabei untersucht sie auch eingehend den prächtigen Heilig-Grab-Sarg im Kloster Wienhausen bei Celle und sorgt so dafür, dass ein herausragendes niedersächsisches Kunstwerk in einer vergleichenden kunstgeschichtlichen Betrachtung angemessen gewürdigt wird.
Pavla Ralcheva: Wandelbare Bildträger. Die Funktion beidseitig bemalter Tafeln im Spätmittelalter, Reimer-Verlag, Berlin 2022 [ISBN 978-3-496-01683-0]
Verstrickt. Der Nationalsozialismus im alten Landkreis Springe
Die nationalsozialistische Diktatur ab 1933 war kein abstraktes politisches System, sondern entstand aus dem Zusammenwirken zahlloser Akteure, die in ihrem Umfeld die nationalsozialistische Durchdringung der Gesellschaft aktiv beförderten, ihren Platz dabei suchten oder zumindest (bis auf wenige Ausnahmen) widerstandslos hinnahmen. Was dies konkret vor Ort bedeutete, hat Kai Witthinrich für den Altkreis Springe südwestlich von Hannover herausgearbeitet. Anstelle der häufig stadtzentrierten Forschung zum Dritten Reich wendet er sich einem ländlich geprägten Raum zu, nutzt bisher unbekannte Quellen und zeichnet so ein facettenreiches Bild, das beispielgebend für ähnliche Untersuchungen in weiteren Regionen ist. Vor Ort ist das Buch der Auftakt für eine fortgesetzte Auseinandersetzung mit der Zeit des Nationalsozialismus, denn 2023 wird das Museum Bad Münder – aufbauend auf Witthinrichs Forschungen – eine Sonderausstellung zum Thema zeigen.
Kai Witthinrich: Verstrickt. Der Nationalsozialismus im alten Landkreis Springe [Schriftenreihe des Museums Bad Münder 16], Heimatbund Niedersachsen e.V., Ortsgruppe Bad Münder, 2022 [ISBN 978-3-00-072775-7]
Faule Müßiggänger und „rechte“ Arme
Für das Leben in frühneuzeitlichen Städten war die Armenfürsorge eine zentrale Aufgabe und fortwährender Konfliktstoff im Alltag. In kommunalen Verordnungen wurde bestimmt, was Armut, was Bettelei und was fauler Müßiggang war und wie damit umzugehen sei. Diese „Armen- und Bettelordnungen“ spiegeln die durch die vor Ort herrschenden sozialen Normen und moralischen Wertungen wider. Ivette Nuckel hat solche Ordnungen des 16. und 17. Jahrhunderts aus Bremen, Lübeck, Lüneburg und Oldenburg zusammengetragen, ediert und kommentiert, sodass ein Vergleich der Armenfürsorge in norddeutschen Städten möglich wird. Besonders hilfreich ist, dass Nuckel für die (mittel-)niederdeutschen Texte jeweils eine hochdeutsche Übersetzung bietet und damit die Sprachbarriere beseitigt, die häufig eine direkte Auseinandersetzung mit den frühneuzeitlichen Schriftquellen Norddeutschlands verhindert.
Ivette Nuckel (Hg.): Faule Müssiggänger und „rechte“ Arme. Armen- und Bettelordnungen Bremens, Lübecks, Lüneburgs und Oldenburgs des 16. und 17. Jahrhunderts, Solivagus-Verlag, Kiel 2021 [ISBN 978-3-943025-41-5]